Ich hatte endlich die Gelegenheit wieder einmal nach Berlin zu reisen. „Endlich“, weil der Grund ein Seminar war, dass bereits vor einem Jahr geplant war, aber wegen Corona storniert wurde. Das letzte mal war ich vor etwa 10 Jahren während meiner Fahrradtour durch Deutschland in Berlin.
Mein Geburtstag
Wie es der Zufall wollte, startete die Reise ausgerechnet an meinem Geburtstag. Um kurz vor 9 Uhr holte mich ein Taxi vor der Haustür ab. Die Taxifahrerin erwähnte, dass es bis zu 30 Grad warm werden soll. Ich hatte mich wohl zu warm gekleidet.
Am Münchner Hauptbahnhof wollte ich auf dem Bahnsteig ein Selfie machen, dabei bekam ich das erste Mal den starken Wind zu spüren, der mir in den nächsten Tagen die Freude verderben sollte.
Die Fahrt mit dem ICE verlief fast planmäßig, abgesehen davon, dass der Zug ewig lange nicht in den Berliner Hauptbahnhof einfahren könnte. Im Hauptbahnhof gab es gefühlt endlos viele Rolltreppen, ich musste hoch bis zur S-Bahn.
Auf der Fahrt mit der S-Bahn fiel mir das im Vergleich zur Münchner S-Bahn heftige Rumpeln und Quietschen auf. Interessant war jedoch die Aussicht aus der S-Bahn, wie zum Beispiel auf den Alexanderplatz. Vom Ostbahnhof hatte ich mit meinem Rollkoffer etwa 10 Minuten bis zum Hotel in der Köpenicker Straße. Dabei war ich geschockt vom Müll, der neben dem Gehweg lag. Es waren offensichtlich die Überreste eines Camps. Ich war unübersehbar im berühmt berüchtigten Kreuzberg.
Der Hotelschock
Der Anblick des Hotels verursachte bei mir einen richtigen Schock.
Ich habe schon viele Hotels erlebt, aber das hier war das absolut schrecklichste: ein 8 Stockwerke hoher scheußlicher Kasten. Und drinnen war es noch scheußlicher.
Ich hatte das Hotel gebucht, weil es von den Seminarveranstaltern empfohlen wurde und nur etwa 100 m vom Veranstaltungsort entfernt war. Der Preis war jedoch mit über 100€ pro Nacht ganz schön gesalzen, so dass ich etwas akzeptables erwarten konnte. Aber das ist Berlin.
Vor meiner Reise hatte ich fast tägelich eine Email vom Hotel erhalten, darin waren QR-Codes für das Check-In sowie für den Zugang zum Frühstücksraum enthalten. Ein Online Check-In war gar nicht möglich und die Automaten für das „Fast Check In“ in der Rezeption quittierten jeden Versuch der Benutzung mit der Meldung „Out of Order“. Also Anstehen am Check-In Schalter. Als ich an der Reihe war, wurde ich in einem unfreundlichen Ton zurück gewiesen, weil ich keinen Meldebogen ausgefüllt hatte. Welcher Meldebogen? Irgendwo stand ein unscheinbarer Tisch mit Formularen, jedoch gab es weit und breit keinen Hinweis darauf. Also mit ausgefüllten Meldebogen noch einmal am Check-In anstehen. Das Zimmer musste sofort gezahlt werden. Das Kartenterminal war nur mit verrenktem Arm hinter einer Glasscheibe erreichbar. Kein Wunder, dass es bei der Eingabe der PIN zu einem Fehler kam. Als Nachweis für das bezahlte Frühstück erhielt ich drei Chips, die aber später niemanden interessierten.
Mein Zimmer befand sich in der 7. Etage, also musste ich vor dem einzigen Fahrstuhl lange anstehen. Der Fahrstuhl war so gedrängt voll, dass niemand hätte umfallen konnen. Ich wäre jedoch fast beinahe vom langen Luftanhalten umgefallen, den niemand trug eine Maske. Corona lässt grüßen …
Vor meiner Zimmertür hing ein Schild „frisch desinfiziert“. Ich dachte mir dabei, dass ein hygienisch sauberes Zimmer doch eigentlich eine Selbstverständlichkeit ist, offenbar nicht in diesem Hotel …
Beim Öffnen der Tür knallte diese an einen kleinen dahinter stehenden Tisch. Das Zimmer war so eng, dass man über das Bett steigen musste um das Fenster zu öffnen. Es gab weder einen Kleiderschrank, noch eine Garderobe. Wie eng das Bad war, dass muss ich hier eigentlich nicht weiter beschreiben. Obwohl ich relativ schlank bin, konnte ich mich nur mit dem Risiko von Hautabschürfungen in die Dusche quetschen.
Mein erster Rundgang durch Berlin
Nach dem Umziehen machte ich mich auf zu einem ersten Rundgang durch Berlin. Dabei wies mir der alles überragende Berliner Fernsehturm den Weg zum Alexanderplatz. Nach ein paar hundert Meter erreichte ich die Spree. Im Außenbereich eines Restaurants habe ich mir erst einmal ein Bier und ein Essen gegönnt. Dabei blies der heftige warme Wind mir ständig die Haare ins Gesicht und von den Nachbartischen die Servietten durch die Gegend. Auf der Spree fuhr ein Rundfahrtschiff nach dem anderen vorbei.
Nach wenigen Schritten war ich am Roten Rathaus und dem Neptunbrunnen davor. Es sind der Meeresgott Neptun und 4 Frauenfiguren dargestellt, die für die Hauptflüsse Preußens stehen. Alle Figuren sind von einer grünen Patina bedeckt, nur die Brüste der Frauenfiguren sind vom vielen Grapschen blank poliert.
Plötzlich fiel meine Sonnenbrille zu Boden. Ich trug sie vorher auf dem Kopf in den Haaren. Eine Windböe hatte sie erwischt und war jetzt zerbrochen. Im nächstbesten Kaufhaus fand ich eine neue, wofür ich ewig lange an der Kasse anstehen musste. Die Brille erwies sich dann als neuwertiger Schrott.
Jetzt wurde es Zeit für ein Selfie. Was bot sich am Alexanderplatz mehr an, wie die Weltzeituhr mit dem 368 m hohen Berliner Fernsehturm im Hintergrund? Der Wind zerzauste dabei meine Haare ganz fürchterlich.
Mein nächstes Ziel für ein Selfie sollte das Brandenburger Tor sein. Der Weg über „Unter den Linden“ kam mir endlos lang vor, vor allem weil sich meine Füße wegen der für diesen langen Rundgang nicht optimalen Schuhe bemerkbar machten.
Vor dem Brandenburger Tor war ich natürlich nicht die einzige mit der Idee für ein Selfie. Der Himmel zog sich immer weiter zu und meine Füße wurden immer schmerzhafter. Ich ruhte mich erst mal auf einer Bank aus, wobei ich mir vom Handy den kürzesten Weg zum Hotel zeigen lies.
Platzregen
Auf halben Wege erwischte mich am Spreekanal ein Platzregen. Ich flüchtete mich in das nächstbeste Restaurant. Weil ich nicht die einzige mit dieser Idee war, fand ich zunächst kein Platz mehr in dem Indischen Restaurant. Ich bestellte mir einen Eisbecher. Nachdem der Regen aufgehört hatte, konnte ich meinen Weg zum Hotel fortsetzen. Im Gang vor meinem Zimmer saß eine Gruppe Jugendlicher auf dem Boden. Ich musste über sie steigen. Dabei sagte ich nur: „sonst geht es euch gut“.
Mich traf der Schlag
Am nächsten Morgen traf mich beim Eintreten in den Frühstücksraum des Hotels der Schlag! Der Raum war brechend voll, gerade so, als wenn es Corona nie gegeben hätte. Am liebsten wäre ich gleich wieder umgedreht, aber ich brauche nun einmal ein Frühstück mit Kaffee am Morgen. Es gab keine Tabletts, so dass man alles auf einen Teller stapeln musste und diesen zu einem Tisch balancieren. Es war gerade ein Tisch frei geworden. Kaum saß ich, war ich auch schon von einer Gruppe Jugendlicher umzingelt. So konnte ich es aber wagen mehrmals zum Buffet zu gehen, ohne dass mein Frühstück vorzeitig abgeräumt wurde.
Mein Seminar begann erst am Mittag, so dass ich Zeit nutzte um mir die Gegend anzusehen.
Eine Berliner Kollegin hatte mir den Holzmarkt empfohlen. Er befindet sich auf der gegenüberliegenden Seite vom Seminarhaus an der Spree. Der Holzmarkt ist ein genossenschaftliches Stadtquartier. Auf dem Gelände haben sich zahlreiche Künstler und kleinteiliges Gewerbe angesiedelt. Es ist für die Öffentlichkeit rund um die Uhr zugänglich
Am Morgen war jedoch dort noch nicht viel los. Ich bestaunte die aus Müll recycelten Kunstwerke und Gebrauchsgegenstände. Das Bild zeigt eine Statur bestehend aus hunderten von Plastikflaschen.
Seminarbeginn
Jetzt war es Zeit mich zum Seminar zu begeben. Das Gebäude im Spreefeld war schnell gefunden, aber welcher Eingang? Ich war noch viel zu früh, so dass noch nichts ausgeschildert oder geöffnet war. Eine weitere Seminarteilnehmerin kam hinzu. Unsere Unterhaltung wurde gehört und über uns öffnete sich ein Fenster. Ein Dame, die sich später als unsere Seminarleiterin herausstellte, half uns den richtigen Eingang zu finden.
Das Seminar begann mit einem gemeinsamen Mittagessen, angerichtet von Spreemittag, welches in Weck-Gläsern serviert wurde. Anschließend starteten wir mit einem Gruppenspiel, wobei wir uns kennenlernen sollten. In dem Seminar ging es an diesem Tag um „New Work“, also um kürzere und flexible Arbeitszeiten. Ich berichtete dazu, dass es für mich nichts neues sei, weil ich seit fast zehn Jahren per Home-Office arbeite und heute jede Woche einen Wellness-Tag nehme.
Während der Pause unterhielt ich mich mit den Seminarleiterinnen. Ich war nicht nur die älteste Teilnehmerin, sondern auch als Transfrau von besonderen Interesse. Dabei erzählte ich u.a. von meinem Buch. Sie kannten es bereits, denn es sei bei Feministinnen bekannt. Super!
Abendessen
Am Abend gab mir die Seminarleiterin einen Tipp, wo ich zum Abendessen hin gehen könnte. Dabei fragten wir in die Runde, wer mit mir mitgehen möchte. So hatte ich an diesem Abend eine Begleiterin. Wir besuchten das Türkische Restaurant Hasir Kreuzberg, wobei es unmöglich war, die riesigen Portionen aufzuessen. Meine Begleiterin sprach nur wenig Deutsch, so dass wir uns in Englisch unterhielten. Irgendwann habe ich mich als Transfrau geoutet, was aber für meine Begleiterin weiter kein besonderes Thema war. Ich war für sie einfach eine Freundin.
„Bomben“ in der Nacht
Der nächste Tag war hart für mich. Ich konnte vor lauter Müdigkeit dem Seminar kaum folgen, denn während der Nacht herrschte im Hotel die pure Anarchie. Jedes mal wenn ich gerade eingeschlafen war, war es so als wenn eine Bombe auf dem Flur vor meinem Zimmer explodiert sei, ganz zu schweigen von der Party auf dem Flur mit lautem Reden und Türen zuschlagen.
An diesem Seminartag ging es u.a. um die Benachteiligung Frauen, wie zum Beispiel Mütter in der Berufswelt.
Später sollten in Gruppenarbeit Plakate für eine Demo entworfen werden. Meine Gruppe entschied sich für „The future is female“. Schade, ich hatte mein T-Shirt mit diesem Aufdruck nicht dabei.
Ein weiterer Rundgang durch Berlin
Trotz meiner Müdigkeit machte ich mich am Abend zu einem weiteren Rundgang durch Berlin auf. Ich schaffte es bis zum Pergamon-Museum, aber ohne jegliche Ambition es zu besichtigen. Der Himmel zog sich verdächtig zu, so dass ich es vorzog meine müden Beine in einem Restaurant auszuruhen. Es waren viele Tische frei, aber mit dem Hinweis, sie seien reserviert wurde mir ein kleiner Tisch zugewiesen. Mein erstes Berliner Bier in Berlin. Es gab an diesem Abend dann doch keinen Regen.
Der Heimreisetag
Es war Samstag und der Frühstücksraum des Hotels weniger stark frequentiert, doch es war genauso eng wie an den Vortagen, weil ein Teil des Frühstücksraums abgetrennt worden war. Das war nicht nur unverständlich, sondern grenzte an vorsätzlicher Dummheit.
Ich blieb so lange wie möglich im Hotelzimmer, denn mein Zug sollte erst nach 13 Uhr abfahren. Und mit meinem Koffer war es unmöglich, noch einen weiteren Rundgang zu unternehmen. Ich trödelte zum Ostbahnhof, die S-Bahn kam sofort, so dass ich bereits um 11 Uhr am Hauptbahnhof war.
Auf meinem Handy traf eine Meldung der Bahn ein, dass sich die voraussichtliche Abfahrt um etwa 2 Stunden verzögern wird. Wunderbar! Jetzt musste ich 4 Stunden vertrödeln. Im Bahnhof nervte mich das Gedrängel der Leute, außerdem war es mir darin zu kalt.
Ich ging auf den Bahnhofsvorplatz und setzte mich auf einen der Steinquader, dabei wurde ich ständig von irgendwelchen Typen angequatscht um zu spenden. Bereits vorher wurde im Bahnhof per Durchsagen vor diesen Leuten gewarnt.
Nachdem ich wiederholt angequatscht wurde, platzte mir der Kragen und habe den Typ angeschrien, dass er mich endlich in Ruhe lassen soll.
Auf meinem Handy trafen weitere Meldungen der Bahn ein, dass sich die Abfahrt noch mehr verzögern wird.
Vom Bahnhofsvorplatz aus waren die Regierungsgebäude zu sehen, aber mit meinem Koffer machte es keinen Sinn dahin zu laufen. Vor zehn Jahren war ich dort mit meinem Fahrrad.
Lange Schlange
Aufgrund der langen Warterei meldete sich meine Blase. Wie zu befürchten war, eine ewig lange Schlange vor der Damentoilette. Nur gut, dass ich viel Zeit hatte, andernfalls würde wohl die Gefahr bestehen, dass es in die Hose geht.
Glückliches Update
Vor lauter Langeweile ging ich zum Bahnsteig meines Zuges. Dort wurde es immer voller, weil nicht nur mein Zug Verspätung hatte. Endlich wurde auf den Anzeigen mein Zug angekündigt, mit über zwei Stunden Verspätung! Als der Zug einfuhr, wurde das Gedrängel auf dem Bahnsteig richtig schlimm. Jetzt hatte sich das gebuchte 1. Klasse Upgrade richtig gelohnt. In meinem Großraumabteil saßen nur etwa 10 Personen, aber in der 2. Klasse waren laut Durchsage keine Sitzplätze mehr frei.
Kein Lockführer
Zweimal hielt der Zug relativ lange auf Bahnhöfen an, wobei laut Durchsage sich die Weiterfahrt verzögert, weil kein Lockführer da sei. Mit etwa 3 Stunden Verspätung kam ich in München an. Ich musste etwa 5 Minuten auf die S-Bahn warten.
Endlich daheim
Nach dem Einsteigen in die Bahn bestellte ich mir ein Taxi für 21:15 Uhr an der der Endstation. Nach kurzer Fahrt stoppte die S-Bahn wegen einer Störung auf dem Gleis. Wunderbar! Hoffentlich wartet mein Taxi so lange.
Das Taxi wartete auf mich, aber auch bereits die nächsten Fahrgäste. Der Taxifahrer hatte es deshalb sehr eilig. Nach fast 12 Stunden war ich endlich daheim. Im Gefrierschrank fand ich noch etwas, um meinen Magen zu beruhigen.
Ende gut – alles gut