Das Seminar

Ich bin mittlerweile seit drei Jahren als Ausbilderin tätig. Immer wieder erlebt man dabei neue aufregende und bedenkenswerte Situationen. Es ist für mich als Transfrau aber auch spannend, ob ich in der Rolle akzeptiert werde. Was noch nie ein Problem war. Ich mache es vor allem gerne, weil ich dabei viele neue Menschen kennenlerne.

Das Titellid zeigt eine Folie meiner Präsentation zu Beginn des Seminars.

Meine Hauptaufgabe ist es, Seminare zu organisieren. So war das Seminar in dieser Geschichte seit Monaten angekündigt und es waren bereits 20 Anmeldungen vorhanden. Nachdem sich im August noch nicht ausreichend Ausbilder:innen bereit erklärt hatten, entschloss ich mich, gemeinsam mit Thomas die Seminarleitung zu übernehmen.

Eine Teilnehmerin an meinem Seminar im Vorjahr hatte mir – als gut gemeinte Kritik – geschrieben, dass ich mich als Transfrau femininer kleiden solle. Damals lief ich den ganzen Tag in Fahrradklamotten herum, weil zum damaligen Seminar eine Fahrradtour gehörte und ich keine Zeit für das Umkleiden hatte. Für dieses Seminar war jedoch keine Fahrradtour geplant, so dass ich mich besonders modisch kleiden wollte. Einige Wochen vor dem Seminar fand ich einen schicken Blazer mit passender Hose. Vor dem Seminar besuchte ich noch einen Kosmetiksalon. Ich hatte ein gutes Gefühl.

Am ersten Tag des Seminars fuhr ich morgens mit dem Regionalzug von München bis Treuchtlingen, wobei der Zug unterwegs im Heimatort von Thomas einen Zwischenstopp machte. Ich hatte Thomas eine SMS gesendet, dass ich unten im dritten Wagen sitzen würde. Der Zug hielt an, wobei Thomas auf dem Bahnsteig genau vor der richtigen Tür stand und wir uns zuwinkten. Wir kamen etwa eine Stunde vor Beginn im Seminarhaus an. Ich war reichlich verschwitzt, weil zwischen Bahnhof und Seminarhaus fast 100 Meter Höhenunterschied zu überwinden waren. Aber ich führe es vor allem auf die Hormone zurück.

Für mich galt es zunächst meinen Laptop mit dem Beamer des Seminarraums zu verbinden. Auf dem Referententisch lag ein Kabel, was offensichtlich zum Beamer führte. Aber der Stecker passte nicht zu meinem Laptop. Bei mir kam Stress auf. Bisher hatte immer alles auf Anhieb funktioniert. Thomas hatte sich auf mich verlassen und keinen eigenen Laptop dabei. An der Rezeption des Seminarhauses war ein Adapter verfügbar, aber der Beamer zeigte nach wie vor nicht das Bild meines Laptops. Verzweiflung kam auf. Wie sollte ich das Seminar ohne meine vorbereitete Präsentation leiten? Wir ließen jemand vom Seminarhaus zur Hilfe kommen. Er entdeckte unter dem Referententisch ein weiteres Kabel. Ich steckte es an meinen Laptop an. Aufatmen, endlich war das Problem behoben.

Ich war zu Anfang des Seminars noch sehr aufgeregt. Da war es gut, dass ich den Teilnehmer:innen erst einmal eine Vorstellungsrunde machen lies. Wozu ich mich kurz selbst vorstellte (Titelbild). Im weiteren Verlauf verlief alles planmäßig, die Teilnehmer:innen arbeiten super mit und Thomas unterstützte mich.

Am Abend mussten wir das Seminar pünktlich beenden, um rechtzeitig zum Essen in der Mensa des Seminarhauses zu sein, denn wir waren nicht die einzige Gruppe. Anschließend konnte ich erstmals mein Zimmer aufsuchen. Nach dem Check-In hatte ich mich erst einmal um den Seminarraum gekümmert. Im Zimmer war es eisig kalt, denn das Fenster war gekippt und die Heizung abgedreht. Die Tür zum Bad war mit einem Mülleimer offen gehalten. Das alles war sehr verdächtig, aber ich konnte den Grund dafür nicht entdecken. Den Abend verbrachte ich gemeinsam mit allen Teilnehmer:innen im Chill-Out Bereich, wobei es bei Bier und Wein viel zu erzählen gab.

Aufgrund des ungewohnt langen Tages überfiel mich gegen elf Uhr die Müdigkeit. Im Zimmer war es noch nicht wirklich wärmer geworden, so dass ich mich so schnell wie möglich ins Bett verkroch. Aber ich konnte nicht einschlafen. Aus dem Bad hörte ich ständig Geräusche aus den Abwasserrohren. Jetzt wurde mir bewusst, warum Fenster und Badtür offen waren, glücklicherweise stank es nicht. Irgendwann bin ich dann eingeschlafen. Am Morgen hatte ich aufgrund der Zeitumstellung eine zusätzliche Stunde Schlaf.

Nach dem Frühstück das Zimmer räumen und weiter ging das Seminar. Thomas hatte heute die Leitung. Am Nachmittag hatten wir das Seminarprogramm abgeschlossen und von den Teilnehmer:innen kamen keine Fragen mehr. Wir stellten uns zu einem Gruppenfoto auf und beendeten anschließend das Seminar. Thomas und ich räumten den Seminarraum auf und konnten gemütlich zum Bahnhof gehen. Unsere Bahn stand schon dort. Wir setzten uns zu einem Seminarteilnehmer, der mit mir bis München fuhr.

In der folgenden Woche beantragte ich für die Teilnehmer:innen die Ausstellung der Zertifikate und versendete an sie den Link zu einem Online-Feedback. Ich freute mich, denn die meisten haben das Seminar gut bewertet und uns ihr Lob ausgesprochen. So macht es Spaß ehrenamtlich als Ausbilderin tätig zu sein. Vor einigen Tagen entdeckte ich, dass einer der Teilnehmer ein bekannter Redakteur einer großen Zeitung ist.

Selbstverständlich habe ich den Zustand meines Zimmers im Seminarhaus beanstandet. Ich bekam die Antwort, dass man „die Prozesse überprüfen werde“.

Das nächste Seminar kommt bestimmt …

Nebenbei bemerkt: Die Bahnfahrten verliefen ohne nennenswerte Verspätungen, was 2025 ungewöhnlich ist.